Gefrorene Elektronen

(A.V. Filinov, M. Bonitz, and Yu.E. Lozovik, Physical Review Letters 86, 3851 (2001)

Jedes Kind weiss heutzutage, was ein Kristall ist - ein regelmäßiges Gitter, geformt aus den Ionen eine Festkörpers. Ein Kristall existiert nur, wenn die Temperatur genügend tief ist. Bei Erwärmung schmilzt er, dabei verwandelt er sich in eine Flüssigkeit und - bei weiterem Erhitzen - in ein Gas.

Viele Jahrzehnte lang haben Forscher versucht herauszufinden, ob es möglich ist, einen Kristall nicht aus den schweren Teilchen im Atomkern zu bilden, sondern aus den viel leichteren Elektronen. Bereits in den 30er Jahren hatte E. Wigner diesen Effekt theoretisch vorhergesagt, der seitdem als Wignerkristallisation bezeichnet wird. Und tatsächlich gelang es in den 70er Jahren, einen solchen Elektronenkristall experimentell zu beobachten - und zwar auf der Oberfläche winziger Heliumtröpfchen, die auf sehr tiefe Temperaturen gekühlt waren.

In den letzten Jahren hat der atemberaubende Fortschritt der Computer- und Kommunikations-Technologie zu einer ständig steigenden Nachfrage nach immer schnelleren Prozessoren und immer mehr Speicher geführt. Bisher wurde das durch ständige Verkleinerung der Halbleiter-Chips erreicht. Allerdings wird diese Miniaturisierung technisch immer komplizierter und teurer. Aus diesem Grund wird in aller Welt nach neuartigen Technologien und physikalischen Prinzipien gesucht, nach denen Schaltkreise im Nanometerbereich (1nm = 0.000 000 001 Meter) funktionieren könnten. Insbesondere hat man sich auch wieder dem Phänomen der Kristallisation von Elektronen zugewandt.

Die Idee ist einfach: Elektronen, die ja den elektrischen Strom transportieren, sind entscheidend für das Funktioniern aller Geräte und Chips. Wenn die Elektronen nun in einem Kristall "gefangen" sind, haben sie keine Möglichkeit, sich fortzubewegen: das Material verhält sich wie ein Isolator. Wenn es darüber hinaus noch möglich wäre, gezielt das Verhalten einer Handvoll Elektronen von kristall-artig auf flüssig "umzuschalten", wäre man in der Lage, damit extrem kleine elektronische Bauelemente wie Schalter oder Transistoren zu realisieren.

Die Details der Kristallisation solch kleiner Cluster aus nicht mehr als 20 Elektronen sind nun vollständig aufgeklärt worden von einer Gruppe deutscher und russischer Physiker, in einer Kooperation der Universität Rostock und dem Moskauer Institut für Spektroskopie. Da die Elektronen sich gegenseitig sehr stark abstoßen, müssen sie von außen festgehalten werden. In den Rechnungen wurde ein kreisförmiges elektrisches Feld benutzt. Die erste Beobachtung war, dass sich die Elektronen in kreisförmigen Schalen anordnen. Auf der inneren Schale können dabei 6 Elektronen sitzen. Wird ein weiteres hinzugefügt, bildet sich spontan eine zweite Schale usw. - also ganz ähnlich dem berühmten Mendelejev-Periodensystem der Elemente.

Es zeigte sich, dass die Elektronen in der Regel nicht fest auf ihren Schalenpositionen sitzen - sie schwingen hin und her und können sogar von einem Platz zum anderen springen. Wird nun die Temperatur unter einen kritischen Wert abgesenkt, verringern sich die Elektronen-Vibrationen schlagartig - der Cluster gefriert zu einem Kristall, in dem die Elektronen ihre Gitterplätze nicht mehr verlassen können. Allerdings ist es immer noch möglich, dass zwei Schalen mit all ihren Elektronen gegeneinander rotieren können. Wird nun die Temperatur weiter verringert, passiert ein zweiter Phasenübergang, bei dem schließlich auch diese Rotationen "einfrieren". Der Elektronen-Wignerkristall geht aus der partiell geordneten Phase (1) in einen vollkommen geordneten Zustand (2) über.

Den Forschern gelang es, die Schmelz-Parameter des Wignerkristalls vollständig und präzise zu bestimmen, und die Resultate waren selbst für viele Spezialisten eine Überraschung. Sehr interessant ist zum Beispiel, was mit dem Kristall passiert, wenn er bei gleichbleibender tiefer Temperatur zusammengepresst wird: anfangs verhalten sich die Elektronen wie ein gewöhnliches Gas, unter Druck verwandeln sie sich in eine Flüssigkeit und schließlich in einen Kristall der Phase 1. Bei weiterer Kompression geht der Kristall in Phase 2 über. Wird nun der Druck noch weiter erhöht, kommen die Gesetze der Quantenmechanik ins Spiel, nach der jedes Elektron eine räumliche Ausdehnung besitzt und somit einer Wolke ähnelt. Mit zunehmender Kompression kommen sich die "Wolken" benachbarter Elektronen immer näher. Sie beginnen sich gegenseitig zu durchdringen, wodurch die Elektronen auf einmal wieder die Möglichkeit erhalten, von einem Platz zum anderen zu "springen". Dieses Anwachsen von Quantenfluktuationen führt schließlich zum "Zerfließen" des Wignerkristalls, er schmilzt sogar bei einer Temperatur von 0 Grad Kelvin.

Eine weitere hochinteressante Beobachtung war, dass Schmelztemperatur (und -druck) sehr stark von der Zahl der Elektronen im Cluster abhängen. Insbesondere gibt es "magische" Cluster mit spezieller Symmetrie (z.B. ein Cluster aus 19 Elektronen), die eine ganz ungewöhnlich stabile zweite Phase besitzen. Wird nur ein einziges Elektron hinzugegeben, dann fällt die Übergangstemperatur zwischen Phase eins und zwei dramatisch, um mehr als das Tausendfache ab. Das eröffnet völlig neue und vielversprechende Anwendungsmöglichkeiten für diese Systeme. So läßt sich nun die Kristallisation von Elektronen nicht nur auf herkömmliche Weise durch Temperatur- oder Druckänderung steuern, sondern auch einfach durch Zugabe oder Entfernen von nur einem einzelnen Elektron.

Nachdem alle prinzipiellen Fragen der Wignerkristallisation in kleinen Elektronenclustern verstanden sind, beschäftigen sich die Forscher nun damit, die Situationen zu finden, bei denen sich diese Effekte in Halbleiterstrukturen am leichtesten realisieren lassen.


Bilder des Elektronenkristalls



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