Physik.
- Ein deutsch-russisches Forscherteam hat einen Kristall aus Löchern
entdeckt. Diese Löcher entstehen, wenn Elektronen durch Energiezufuhr
angeregt werden und auf eine höhere Schale springen. Die Forscher haben
ihre Entdeckung in den "Physical Review Letters" veröffentlicht.
"Ein Kristall ist ein Gitter, das besteht aus Atomen oder Ionen. Das kennt jeder aus dem Bergkristall."
So steht es in jedem Lehrbuch, und so beschreibt es auch Michael
Bonitz. Doch mit diesen gewöhnlichen Kristallen gibt sich der
Physikprofessor der Universität Kiel nicht ab: Er ist einer Sache auf
der Spur, die völlig absurd klingt - einem Kristall aus Löchern. Nun
sind die Löcher, um die es hier geht, keine gewöhnlichen Löcher - also
nichts, worin eine Maus entschwinden könnte oder in das ein Golfball
hinein soll. Nein - ein gelernter Physiker versteht unter einem Loch
etwas anderes. Bonitz:
"Ein Loch entsteht im Festkörper, wenn man
den Elektronen im Festkörper Energie zuführt. Dann können die auf ein
höheres Energieniveau klettern, und im Ausgangsniveau bleibt eine
Vakanz, ein Loch zurück."
Ein Beispiel für diesen Prozess ist eine Solarzelle. Und zwar gibt
Sonnenlicht, das auf die Solarzelle scheint, seine Energie an die
Elektronen in der Zelle ab. Derart energetisch angestachelt hüpfen die
Elektronen auf ein höheres Energieniveau - und hinterlassen
zwangsläufig eine Lücke, ein Loch. Das Entscheidende: Die Elektronen
sind elektrisch negativ geladen, und als Ausgleich dafür, damit die
Buchhaltung stimmt, müssen die zurückgelassenen Löcher positiv geladen
sein. In der Solarzelle fließen die Elektronen in die eine Richtung,
die Löcher in die andere. Als Ergebnis fließt ein elektrischer Strom,
den man abgreifen und nutzen kann. Gewöhnlich nun stellt sich Physiker
wie Michael Bonitz die fließenden Elektronen und Löcher so vor, als
wären sie flüssig:
"Normalerweise sind die Elektronen wie eine
Flüssigkeit, ausgedehnt über den gesamten Festkörper, und genauso die
Löcher. Das ist der Normalzustand. Und was wir gefunden haben ist, dass
unter bestimmten Bedingungen die Löcher sich nicht mehr wie eine
Flüssigkeit verhalten, sondern die können auf einmal selbst ein
Kristallgitter bilden."
Mit anderen Worten: Mitten im See der Elektronen haben sich die Löcher
zu einem regelmäßigen Kristall zusammengetan. Als Beweis zeigt Bonitz
ein Bild, auf dem sich 16 rote Punkte zu einem Schachbrettmuster
geordnet haben. Allerdings klappt das Spielchen nur unter bestimmten
Bedingungen - etwa mit exotischen Materialien, die zum Beispiel Selen
und Tellur enthalten, und bei frostigen Temperaturen um minus 260 Grad
Celsius. Und die Sache hat noch einen weiteren Haken: Bislang haben
Bonitz und seine Leute den Lochkristall nur im Computer entdeckt.
Bonitz:
"Experimentell ist es noch nicht gefunden
worden. Wir sind relativ optimistisch, dass das bereits mit den
existierenden Materialien möglich ist. Man hat bloß eben nicht danach
gesucht."
Seine Computerexperimente, sagt Bonitz, geben den Experimentatoren
Hinweise, wo sie nach den Lochkristallen suchen sollen. Und sollte man
sie eines Tages finden, hätte man vielleicht Kandidaten für neue
supraleitende Werkstoffe in der Hand. Das sind Materialien, die Strom
verlustfrei leiten und interessante Anwendungen versprechen. Und
womöglich gibt es so etwas Ähnliches wie Lochkristalle sogar in der
Natur - wenn auch weit von der Erde entfernt. Bonitz:
"In exotischen Sternen wie weißen Zwergen
oder Neutronensternen. Viele dieser Eigenschaften sind sehr ähnlich zu
den Lochkristallen, die wir hier im Experiment erwarten. Diese
astrophysikalischen Objekte sind in keiner Weise zugänglich. Sie sind
zu weit weg und unter derart extremen Bedingungen, dass man dort keine
direkten Messungen wird durchführen können. Und wir denken, dass die
Eigenschaften des Lochkristalls sehr ähnlich sind und dass man daran
eine ganze Menge auch über die Sterne lernen kann."