Presseinformation 126/2005 vom 05.12.2005
Lochkristall gefunden
Physiker der Kieler Uni weisen ungewöhnlichen Materiezustand nach
Ein ungewöhnlicher Materiezustand, ein Kristall, der nur aus Löchern
besteht, wurde an der Kieler Universität nachgewiesen: Wie in der
aktuellen Ausgabe der Physical Review Letters (vom 02.12.05) berichtet,
gelang einem internationalen Team unter Leitung von Professor Michael
Bonitz, mit Hilfe von aufwändigen Computersimulationen erstmals der
Beweis dieses exotischen Phänomens, über dessen Existenz bislang nur
spekuliert wurde. Darüber hinaus konnten die Physiker Bedingungen für
seine Entstehung vorhersagen.
"Wir wissen nun, dass dieser Effekt in Halbleitern mit einer ganz
bestimmten Bandstruktur auftritt", so Bonitz. "In gewöhnlichen
Festkörpern sind Elektronen und Löcher (sie entstehen, wenn Elektronen
angeregt werden) weit ausgedehnt – eine Konsequenz der Quantenmechanik.
Elektronen und Löcher durchdringen das Material wie eine Flüssigkeit.“
Wenn jedoch die Masse eines Lochs den kritischen Wert des 80fachen der
Elektronenmasse übersteigt, verwandelt sich die Lochflüssigkeit spontan
in einen Kristall. Des Weiteren liegen starke Hinweise vor, dass sich
in derartigen Halbleitersystemen bei Verringerung des Drucks
Bose-Kondensate von gebundenen Elektron-Loch Paaren (sogenannten
Exzitonen) ausbilden können. "Die nächste spannende Frage ist, unsere
Vorhersage zum Lochkristall in einem Experiment zu bestätigen“,
beschreibt der Physiker den weiteren Weg. Geeignete Materialsysteme
seien bereits vorgeschlagen worden.
Der Lochkristall ist für den Wissenschaftler vom Institut für
Theoretische Physik und Astrophysik auch aus einem weiteren Grund von
Interesse: "Wir konnten zeigen, dass er viele Gemeinsamkeiten mit ganz
anderen Kristallen, wie etwa Plasmakristallen oder Ionenkristallen,
besitzt." Besonders reizvoll sei, dass der Lochkristall viele
Ähnlichkeiten mit einigen der rätselhaftesten Objekte im Universum -
Weißen Zwergen und Neutronensternen - besitzt. In diesen exotischen,
weit entfernten Objekten vermutet man die Existenz eines
Ionenkristalls. "Wichtige Eigenschaften dieser Systeme", hofft Bonitz,
"lassen sich möglicherweise bald im Labor an einem Lochkristall
studieren".
Dieser ungewöhnliche Kristall sei auch für die Materialforschung von
Interesse, so Bonitz, "weil er möglicherweise günstige Voraussetzungen
für Supraleitung bietet." Während Supraleitung (Stromfluss ohne
Widerstand) derzeit nur bei extrem tiefen Temperaturen funktioniert,
erwartet z.B. der Physik-Nobelpreisträger von 2003, Alexei Abrikosov,
dass Systeme mit einem Lochkristall schon bei wesentlich höheren
Temperaturen supraleitend werden. Eine Herausforderung für die Kieler
Wissenschaftler und ihre Partner: "Ein wichtiges Ziel unserer weiteren
Untersuchungen wird es sein, diese Vorhersagen zu überprüfen“.
Professor Michael Bonitz arbeitete für seine Forschungen mit einem
deutsch-russischen Wissenschaftlerteam zusammen, zu dem Professor
Holger Fehske (Uni Greifswald) und Dr. Vladimir S. Filinov (Institute
for High Energy Density, Moskau) gehörten. Das Projekt ist Teil des
kürzlich von der Deutschen Forschungsgemeinschaft bewilligten
Transregio-Sonderforschungsbereiches 24 "Grundlagen komplexer Plasmen",
der an den Universitäten Greifswald und Kiel angesiedelt ist.
Die American Physics Society berichtet über die Forschungsergebnisse in ihrer online-Zeitschrift Physical Review Focus:
http://focus.aps.org/story/v16/st17"
Kontakt:
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Professor Michael Bonitz
Tel. ++49/(0)431/880-4122, -4117
bonitz@physik.uni-kiel.de
www.theo-physik.uni-kiel.de/~bonitz
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Presse und Kommunikation, Leiterin: Susanne Schuck
Postanschrift: D-24098 Kiel, Telefon: (0431) 880-2104, Telefax: (0431) 880-1355
e-mail: presse@uv.uni-kiel.de