In einem Kristall sind normalerweise Atome, Ionen oder
auch Moleküle gitterartig im Raum angeordnet. Es gibt aber
auch bizarre Kristalle - die so genannten Wignerkristalle -,
die ausschließlich mit Elektronen auskommen. Bislang gelang es
Wissenschaftler in Experimenten nur bedingt, diese kuriosen
Gebilde herzustellen. Neue Simulationen zeigen nun aber, unter
welchen Bedingungen ein solcher Kristall entsteht und
offenbaren gleichzeitig einige bisher unbekannte
Eigenschaften.
Kristalle bestehen in der Regel aus Atomen oder Ionen -
aber es geht auch anders: Eugen Paul Wigner sagte bereits in
den dreißiger Jahren voraus, dass Elektronen unter bestimmten
Bedingungen eine kristallartige Struktur ausbilden sollten,
die man nach ihrem geistigen Vater auch Wignerkristall nennt.
Der Wissenschaftler vermutete, dass sie bei einer geringen
Elektronenanzahl auftritt, die auf einen kleinen Raumbereich
beschränkt ist. Ihr Nachweis gelang erst in den siebziger
Jahren - und zwar auf der Oberfläche winziger, sehr kalter
Heliumtröpfchen.
Was sich experimentell als schwierig darstellt, ist auch in
der Theorie eine harte Nuss: Denn einen Wignerkristall
physikalisch korrekt zu beschreiben, ist kein leichtes
Unterfangen, schließlich müssen sowohl die quantenmechanischen
Eigenschaften eines zweidimensionalen Systems richtig erfasst,
als auch die starke Coulomb-Abstoßung zwischen allen
Elektronen gebührend berücksichtigt werden.
Alexei Filinov und Michael Bonitz von der Universität
Rostock verwendeten zusammen mit ihren russischen Kollegen
vom Moskauer Institute of Spectroscopy ein
mathematisches Modell, bei dem ein kreisförmiges elektrisches
Feld die Elektronen auf einem kleinen Raum festhält. Die erste
Beobachtung bei ihren Simulationen war, dass sich die
Elektronen in kreisförmigen Schalen anordnen, wobei auf der
inneren maximal sechs Elektronen sitzen können. Fügten die
Physiker weitere Elektronen hinzu, so bildete sich spontan
eine zweite Schale und so weiter.
Dabei zeigte sich, dass die Elektronen in der Regel nicht
fest auf ihren Schalenpositionen sitzen - vielmehr schwingen
sie hin und her und können sogar von einem Platz zum anderen
springen. Fällt die Temperatur unter einen bestimmten
kritischen Wert, so verringern sich die Elektronen-Vibrationen
schlagartig - der Elektronen-Cluster "gefriert" zu einem
Kristall, in dem die Elektronen ihre Gitterplätze nicht mehr
verlassen können. Allerdings ist es immer noch möglich, dass
zwei Schalen mit all ihren Elektronen gegeneinander rotieren
können. Verringerten die Wissenschaftler die Temperatur
weiter, trat ein zweiter Phasenübergang auf, bei dem
schließlich auch diese Rotationen "einfroren" - der
Elektronen-Wignerkristall geht also aus der partiell
geordneten Phase in einen vollkommen geordneten Zustand über.
Ein überraschendes Ergebnis beobachteten Filinov und Bonitz
beim Erhöhen des Drucks: Zunächst verhielten sich die
Elektronen wie eine Flüssigkeit, dann ordneten sie sich zu
einem Kristall in einer partiell geordneten Phase und
schließlich zu einem vollkommen geordneten Zustand. Bei noch
höherem Druck kommen jedoch die Gesetze der Quantenmechanik
ins Spiel, die Elektronenwölkchen beginnen sich gegenseitig zu
durchdringen, der Wigner-Kristall schmilzt und das sogar bei
einer (theoretischen) Temperatur von null Kelvin.
Weiterhin fanden die Forscher heraus, dass die
Schmelztemperatur und der Schmelzdruck sehr stark von der Zahl
der Elektronen im Cluster abhängen. Insbesondere gibt es
"magische" Cluster mit spezieller Symmetrie - beispielsweise
ein Cluster aus 19 Elektronen -, die eine ganz ungewöhnlich
stabile zweite Phase besitzen. Wird nur ein einziges Elektron
hinzugegeben, dann fällt die Übergangstemperatur zwischen den
Phasen jedoch um mehr als das Tausendfache ab.
Das eröffnet völlig neue und vielversprechende
Anwendungsmöglichkeiten für diese Systeme. Denn es lässt sich
so einfach durch Zugabe oder Entfernen von nur einem einzelnen
Elektron die Kristallisation von Elektronen steuern. Das
könnte einmal zu ganz neuen elektronischen Bauelementen
führen; die "Bauanleitung" dafür haben Bonitz und seine
Kollegen im Prinzip geliefert.